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sonst würden Sie nicht bis zu Ihrem Alter unter dem drückenden
Harnisch der Militärdisziplin ausgehalten haben. Sie können daher
weder das Unglück einer Seele, deren Wünsche immer neu
entstehen und immer wieder verraten werden, noch den
beständigen Gram einer Kreatur begreifen, die gesonnen ist,
woanders wie in ihrer Sphäre zu leben. Derartige Leiden bleiben
ein Geheimnis zwischen solchen Wesen und Gott, der ihnen diese
Trübsal schickt, denn sie allein kennen die Gewalt der Eindrücke,
die ihnen die Ereignisse des Lebens verursachen. Hat Sie, ein
abgestumpfter Zeuge so vieler, durch einen langen Kriegslauf
verursachter Schicksalsschläge, indessen nicht selber in Ihrem
Herzen eine leise Traurigkeit überrascht, wenn Sie einem Baume
begegneten, dessen Blätter mitten im Frühling gelb waren, einem
Baum, der dahinsiechte und starb, weil er in einen Boden
gepflanzt worden war, wo die für seine volle Entwicklung
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notwendigen Bedingungen fehlten? Seit meinem zwanzigsten
Lebensjahre tat es mir weh, die passive Melancholie einer
verkümmerten Pflanze zu sehen; heute wende ich bei einem
solchen Anblick stets die Augen ab. Mein Kinderschmerz war das
vage Vorgefühl meiner Mannesschmerzen; eine Art Sympathie
zwischen meiner Gegenwart und einer Zukunft, die ich instinktiv
in jenem vegetalen Leben wahrnahm, das vor der Zeit sich dem
Ziele zuneigt, dem Bäume und Menschen entgegengehen!«
»Als ich Ihre Güte sah, dachte ich mir schon, daß Sie gelitten
hätten!«
»Sie begreifen, mein Herr,« fuhr der Arzt, ohne auf Genestas'
Worte zu entgegnen, fort, »daß von der Fosseuse sprechen, von
mir sprechen heißt. Die Fosseuse ist eine auf fremden Boden
versetzte Pflanze, aber eine Menschenpflanze, die fortwährend
von traurigen oder tiefen Gedanken, die sich gegenseitig
vervielfachen, verzehrt wird. Das arme Mädchen leidet beständig.
Bei ihr tötet die Seele den Körper. Könnte ich wohl eine schwache
Kreatur, welche die Beute des größten und am wenigsten
gewürdigten Unglücks ist, das es in unserer egoistischen Welt
gibt, kühlen Herzens ansehen, wenn ich ein Mann und Leiden
gegenüber stark, mich allabendlich versucht fühle, mich zu
weigern, die Last eines ähnlichen Unglücks zu tragen? Vielleicht
würd' ich mich sogar weigern ohne einen religiösen Gedanken,
der meinen Kümmernissen den Stachel nimmt und süße Illusionen
in meinem Herzen verbreitet. Auch wenn wir nicht alle Kinder ein
und desselben Gottes wären, würde die Fosseuse noch meine
Schwester im Leiden sein!«
Benassis preßte die Flanken seines Pferdes und riß den Major
Genestas mit fort, wie wenn er sich fürchtete, die angefangene
Unterhaltung in diesem Tone weiterzuführen.
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»Mein Herr,« fuhr er fort, als die Pferde wieder nebeneinander
trabten, »die Natur hat das arme Mädchen sozusagen für den
Schmerz erschaffen, wie sie andere Frauen für das Vergnügen
erschaffen hat. Wenn man derartige Prädestinationen sieht, muß
man notgedrungen an ein anderes Leben glauben. Alles wirkt auf
die Fosseuse: wenn graues und trübes Wetter herrscht, ist sie
traurig und : weint mit dem Himmel9 ; das ist ihr eigener Ausdruck.
Sie singt mit den Vögeln; sie beruhigt sich und wird mit dem
Himmel heiter; endlich wird sie an einem schönen Tage schön.
Ein zarter Duft ist ein beinahe unerschöpfliches Vergnügen für
sie. Einen ganzen Tag über sah ich sie nach einem jener
Regenmorgen, welche die Seele der Blumen öffnen und dem Tage
unsagbare Frische und Glanz verleihen, den Duft genießen, den
Reseden ausströmten; mit der Natur, mit allen Pflanzen hatte sie
sich entfaltet. Wenn die Atmosphäre drückend und elektrisierend
ist, hat die Fosseuse Beschwerden, die nichts beruhigen kann; sie
legt sich ins Bett und klagt über tausend verschiedene Leiden,
ohne zu wissen, was ihr fehlt. Wenn ich sie frage, antwortet sie
mir, ihre Knochen würden weich und ihr Fleisch löse sich in
Wasser auf. Während solcher leblosen Stunden fühlt sie das
Leben nur durch das Leiden; ihr Herz ist : außerhalb von ihr9 , um
Ihnen noch eines ihrer Worte anzuführen. Manchmal hab' ich das
arme Mädchen weinend beim Anblicke gewisser Bilder
überrascht, die in unseren Bergen beim Sonnenuntergange
sichtbar werden, wenn viele und prachtvolle Wolken sich über
unseren goldenen Berggipfeln vereinigen. : Warum weinen Sie,
meine Kleine?9 fragte ich sie.  : Ich weiß es nicht,9 antwortete sie
mir; : ich bin wie von Sinnen, wenn ich das da droben betrachte,
und ich weiß vor lauter Sehen nicht, wo ich bin.9  : Aber was
sehen Sie denn?9  : Ich kann es Ihnen nicht sagen.9 Dann möchten
Sie sie den langen Abend über noch soviel fragen, Sie würden von
ihr nicht ein einziges Wort hören; sie würde Ihnen gedankenvolle
Blicke zuwerfen oder mit feuchten Augen, schweigsam, sichtlich
gesammelt, verharren. Ihre Sammlung ist so tief, daß sie sich
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mitteilt; wenigstens wirkt sie dann auf mich wie eine mit
Elektrizität überladene Wolke. Eines Tages hab' ich sie mit Fragen
bedrängt, ich wollte sie mit aller Gewalt zum Sprechen bringen
und sagte ihr einige allzu lebhafte Worte;  ja, mein Herr, da
brach sie in Tränen aus. In anderen Augenblicken ist die Fosseuse
froh, artig, lachlustig, lebhaft und geistreich; sie plaudert mit
Vergnügen und äußert neue, originelle Gedanken. Uebrigens ist
sie unfähig, sich irgendeiner fortlaufenden Arbeit zu widmen:
wenn sie in die Felder geht, bleibt sie ganze Stunden über mit dem
Ansehen einer Blume beschäftigt, betrachtet das fließende Wasser
und beschaut sich die malerischen Wunder, die sich unter den
klaren und ruhigen Gewässern zeigen, jene hübschen, aus Kieseln,
Erde, Sand, Wasserpflanzen, Moos und braunen Niederschlägen
zusammengesetzten Mosaiken, deren Farben so mild sind und [ Pobierz całość w formacie PDF ]

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